Pädiatrische Onkologie: Grenzen für die Naturheilkunde*

Manfred D. Kuno, Berlin

Es gehört wohl zu den einprägsamsten Ereignissen und zu den größten Herausforderungen, die einem Therapeuten in der Naturheilkunde widerfahren kann: der Anruf von Eltern krebskranker Kinder mit der Bitte um Hilfe und Unterstützung in der Behandlung eines tumorkranken kleinen Menschen. Obgleich ich seit über zwanzig Jahre eine Schwerpunktpraxis für naturheilkundliche Krebstherapie betreibe, konnte ich mich -von wenigen Ausnahmen abgesehen- bislang immer erfolgreich gegen solche Fürbitten verwahren.

Wenn ich dennoch ein Kapitel zur Pädiatrischen Onkologie aufnehme so deshalb, weil gerade Kinder eines hohen Schutzes und eines qualitativ hohen Niveaus in der Behandlung bedürfen, und: weil kindliche Tumorerkrankungen in der Regel durch die Maßnahmen der modernen klinisch-pädiatrischen Onkologie heilbar sind.

Für die Naturheilpraxis bedeutet dies, daß eine gute Kenntnis der Symptome von Tumorerkankungen erforderlich ist, um krebskranken Kindern eine zügige Behandlung durch die pädiatrische Onkologie zu ermöglichen. Zeitverschleppung und Behandlungsversuche mittels naturheilkundlich-homöopathischer Interventionen können fatale Auswirkungen haben und bedrohen das Leben des Kindes meist in kurzer Zeit.

Ich werde mich bemühen näher auszuführen, warum ich diese Position einnehme, und einen Überblick über den aktuellen Stand von Ätiologie, Epidemiologie, Klinik und Therapie der wichtigsten kindlichen Neoplasmaerkrankungen zu liefern.

 

Einführung

Die Behandlung kindlicher Tumor- und maligner Systemerkrankungen gehört in die kompetente Hand der pädiatrischen Onkologen. Die hier notwendige Kompetenz findet sich heute in aller Regel in den Tumorzentren der Universitätskliniken oder ähnlichen, interdisziplinär organisierten fachärztlichen Einrichtungen.

Bei geringstem Verdacht auf das Vorliegen einer neoplastischen Erkrankung (näheres siehe in der jeweiligen Rubrik „Symptomatik" der nachfolgend beschriebenen Krankheitsbilder) sollten unsere kleinen Patienten umgehend zur Abklärung an einen Pädiater überwiesen werden. Angesichts der Schnelligkeit, mit der kindliche Krebserkrankungen zu lebensbedrohlichen Krankheitsbildern werden können, sollte unsererseits auf jeden „Therapieversuch" verzichtet werden.

Die Gründe, die mich zu dieser Position veranlassen, sind -zusammengefasst- die folgenden:

Kindliche Tumorerkrankungen verlaufen in aller Regel äußerst fulminant, und stellen für den betroffenen kleinen Organismus sehr kurz nach Auftreten der ersten klinischen Symptome eine vital bedrohliche Systemerkrankung dar. Es besteht hier ein rascher und kompetenter Handlungsbedarf, der sich zu allererst im Sinne einer Wachstumskontrolle maligner Zellpopulationen auswirken muß. Der Naturheilkunde steht hier kein adäquates Instrumentarium zur Verfügung: alle auf ganzheitlichen und auch immunbiologischen Prinzipien beruhende Therapiestrategien benötigen Zeit, um ihre Heilimpulse im Organismus zu entfalten. Zeit ist in der pädiatrischen Onkologie in der Situation nach Diagnosesicherung aber in der Regel nicht gegeben, es bedarf der schnellen und konsequenten Tumorhemmung. Die Situation in der pädiatrischen Onkologie stellt sich also vollständig anders dar, als in der Tumortherapie Erwachsener, in der naturheilkundliche Therapiekonzepte (von wenigen Ausnahmen abgesehen) Raum und Zeit haben.

Für den überwiegenden Teil der kindlichen Tumor- und Systemerkrankungen sind heute genetische Defekte als primäre oder sekundäre Ursachen gesichert. Auch aus diesem Grund erscheint eine naturheilkundliche Behandlung tumorkranker Kinder irrelevant, und höchstens als Begleit- und Nachbehandlung, z.B. in der postoperativen Genesungsphase und/oder der posttherapeutischen Konstitutionsbehandlung auch ethisch vertretbar. So kann hier beispielsweise die klassische Homöopathie großartiges leisten, in dem sie durch konstitutionsstabilisierende Maßnahmen zu einer effektiven Sekundärprävention beiträgt. Auch als Begleittherapie in der z.T. ja äußerst nebenwirkungsreichen onkologischen Behandlung können sich Gaben situations- und symptombezogener Homöopathika als segensreiche Helfer bei den kleinen Patienten erweisen.

Das Gebiet der pädiatrischen Onkologie ist das einzige Fachgebiet, in dem die orthodoxe Krebsmedizin seit Jahrzehnten außerordentlich erfolgreich agiert. Definierte Krebsheilungen sind hier möglich und stellen sich bei einem überwiegenden Teil der kindlichen Tumorerkrankungen auch ein. Nebenwirkungen sind zwar intensiver (oder werden von Seiten der Angehörigen als intensiv wahrgenommen), aber meist passagerer Natur, was möglicherweise mit dem beachtlichen Regenerationsvermögen des wachsenden Organismus zusammenhängt. Die hohe Erfolgsquote dürfte auf dem Prinzip der hohen Effektivität von Zytostatika und Nuklearmedizin bei schnell proliferierenden Zellen beruhen. Im Gegensatz zum alternden Organismus, bei dem ein Tumorgeschehen zwar ebenfalls durch schnell proliferierendes Wachstum gekennzeichnet ist, im Vergleich zur kindlichen Tumorerkrankung aber eher einen vergleichsweisen „langsamen" Wachstumsprozess darstellt, ist ein Ansprechen (=response) kindlicher Tumoren auf die Chemo- oder Strahlentherapie die Regel, eine Heilung (=complete remission) je nach Tumorart in der Größenordnung zwischen 70% und >90% der Fälle eine unbezweifelte Tatsache.

Mehr als in der „Erwachsenen-Onkologie" bedarf es in der Behandlung tumorkranker Kinder einer gut koordinierten und interdisziplinären Zusammenarbeit kompetenter Fachkräfte (Pädiatrie und Onkologie, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Chirurgie, Radiologie, speziell ausgebildetes Pflegepersonal, Kinderpsychologen und Sozialarbeiter). Gerade Kinder sind durch therapeutisch bedingte, meist mehrmonatige Trennungen von ihren psychosozialen und pädagogischen Umfeldbedingungen (Eltern, Geschwister, Freundeskreis, Kindergarten, Hort und Schule) darauf angewiesen, daß sie keinen Bruch in ihrer körperlichen, psychischen, seelischen und pädagogischen Entwicklung erleiden. Pädiatrische Fachkliniken und Tumorzentren sind in aller Regel auf diese Problemstellungen eingerichtet. Wenn auch berechtigte Kritik an einzelnen Mißständen in der pädiatrischen Onkologie besteht, und hier eine besondere Aufmerksamkeit für Rahmenbedingungen nötig ist, erscheint doch fraglos der Platz des tumorkranken Kindes in der pädiatrisch-onkologischen Fachklinik. An dieser Stelle muß auch den Aktivitäten der Deutschen Kinderkrebshilfe der Mildred Scheel-Stiftung Lob gezollt werden, die hier mit beachtlichen Geldmitteln für eine Realisierung und Unterstützung entsprechender Einrichtungen sorgt.

 

 

Epidemiologie

Jährlich erkranken in Deutschland rund 1750 Kinder unter 15 Jahren an Krebs, dies bedeutet eine jährliche Inzidenrate von 13-14 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner.

In der Verteilung der Organlokalisationen stehen die systemischen Krebskrankheiten Leukämien mit 34,5% (v.a. die Akut Lymphatische Leukämie mit 28,5%) an erster Stelle, gefolgt von malignen Tumoren des ZNS (19,1%), den Lymphomen (12,8%), sowie Weichteilsarkomen und soliden Karzinomen. Die Inzidenzraten zeigen seit Beginn der systemischen Registrierung kindlicher Tumorerkankungen durch das Deutsche Kinderkrebsregister an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz einen gleichbleibenden Verlauf. Krebs stellt, sowohl in den alten, wie in den neuen Bundesländern die zweithäufigste Todesursache dar (Kaatsch 1998, Parkin 1999).

In der Verteilung der Tumorentitäten wird eine deutliche Altersabhängigkeit festgestellt:

Eine epidemiologische Studie an 21.752 tumorkranken Kindern zeigt, daß in der Altersgruppe der Säuglinge die Neuroblastome und Wilms-Tumore dominieren, während in der Gruppe der 1-4jährigen die systemischen Krebserkrankungen (v.a. Akut-Lymphatische Leukämie ALL und die malignen Lymphomerkrankungen) in Vordergrund rücken (Kaletsch 1996). Mit zunehmendem Lebensalter treten dann auch die soliden Tumore (Karzinome und Sarkome) auf .

Tab.: Inzidenzrate für kindliche Malignome,

bezogen auf 100.000 Kinder unter 15 Jahren, altersstandardisiert auf die westdeutsche

Bevölkerung 1987 (aus: Robert Koch Institut,

Internet: www.rki.de/GBE/KREBS/BROSCHURE2/SEITEN/SEITE56_60.HTM, 23.7.00)

 

Erkrankung: Inzidenz:

Akut-Lymphatische Leukämie 3,7

ZNS-Tumoren, 2,5

Neuroblastom 1,2

Nephroblastom 0,9

Non-Hodgkin-Lymphom 0,8

Morbus Hodgkin 0,7

Akute nicht-lymphatische Leukämie 0,7

Knochentumoren 0,6

Rhabdomyosarkom 0,5

Keimzelltumoren 0,4

 

 

 

 

Ätiologie und Konsequenzen.

Die Ursachenebenen für das Auftreten von Krebs bei Kindern werden uneinheitlich bewertet. Zunächst kann festgehalten werden, daß die v.a. in der Ganzheitsmedizin favorisierten Grundannahmen hinsichtlich psychischer, umwelttoxikologischer und weiterer exogener Einflüsse als Kausalfaktoren in der pädiatrischen Onkologie kaum wahrscheinlich sind. Die einzige Ausnahme der radioaktiven Wirkung bleibt dabei unbestritten, wobei allerdings eine klare Dosis-Wirkungs-Relation angenommen werden muß: während die inzwischen vorliegenden Langzeitstudien für die Krebsinzidenz in der Nähe von Kernkraftanlagen lebender Kinder (AKW Elbmarsch, Krümmel, Sellafield) keine Signifikanz ergaben, ist die erhöhte Erkrankungsquote von malignen Schilddrüsentumoren in der Umgebung des AKW Tschernobyl belegt (Gutjahr, 1996). Die Inzidenz für solche Erkrankungen in Japan nach den Atombombenabwürfen in Hiroshima und Nagasaki trägt tragischer weise zu einer Beweisführung für solche Zusammenhänge bei, hier verdreissigfachte sich die Inzidenz (Ishimaru, Ishimaru und Otake, 1979).

Chemische Noxen wie Zigarettenrauchen, Pestizide und Kontakt mit Benzol (Gummi- und Lederindustrie, Raffinerien und Kfz-Werkstätten) dürften als Auslöser kindlicher Leukämien (zumindest in den Industriestaaten) kaum eine Rolle spielen. Der Einfluß elektromagnetischer Felder wird kontrovers diskutiert.

Genetische Faktoren scheinen heute eine größere Rolle zu spielen: das gehäufte Auftreten von Burkitt-Lymphomen in Afrika, eine hohe Inzidenzrate für Retinoblastome bei den Navajo-Indianern, sowie eine auffällig geringe Inzidenz für Ewing-Sarkome bei Schwarzen gegenüber der allgemeinen Inzidenz (Gutjahr 1999) sprechen für solche Annahmen. Für einige kindliche Tumorerkrankungen ist heute der genetische Defekt belegt und lokalisiert: für das Retinoblastom ist ein Funktionsverlust auf Chromosom 13 belegt (Horsthemke 1992, Höpping 1990).

Übersichtlich beschreibt der Leiter der Universitätskinderklinik Mainz, Prof. Dr. P. Gutjahr die heute gesicherten Zusammenhänge zwischen familiär auftretenden Gendefekten und den hiermit korrelierenden erhöhten Risiken für Tumorerkrankungen der Kinder:

 

Gendefekt/familiäre Erkrankung: höheres Risiko der Kinder für:

Fanconi-Anämie Akut Myeloische Leukämie

Ataxia teleangiectasia Leukämien, Lymphome, ZNS-Tumoren

Neurofibromatose ZNS-Tumoren, Wilms-Tumor

Rhabdomyosarkom, Leukämien

Li-Fraumeni-Syndrom Weichteil- und Osteosarkome,

Leukämien, ZNS-Tumoren

Familiäre Monosomie 7 Akut Myeloische Leukämie

Trisomie 21 (Down-Syndrom) akute Leukämien

Auch die in unseren Kreisen verbreiteten immunologischen Kausalebenen versagen als Erklärungsmodell für kindliche Tumorerkrankungen weitgehend. Während die Abnahme immunologischer Überwachungsmechanismen mit zunehmendem Lebensalter („Immune-Surveillance-Theorie") mit einer höheren Krebswahrscheinlichkeit korrelieren, zeigt sich bei Kindern das Auftreten von Tumoren in der Hochphase immunologischer Aktivität, Flexibilität und Kompetenz . Das gleiche gilt für die Annahme von virusalen Kofaktoren wie HIV, Epstein-Barr-, Humanes Papilloma-, Cytomegalie- und Herpes-Simplex-/Varizella-Zoster-Virus, die in der kindlichen Onkologie kaum eine Rolle spielen (Ausnahme: Burkitt-Lymphom).

In den wenigen Fällen, in denen eine Störung zellulärer Immunkompetenz als Begleitphänomen kindlicher Tumorbildungen nachgewiesen wird, kann aller Wahrscheinlichkeit nach davon ausgegangen werden, daß es sich hier um Folgen genetischer Defekte handelt, die im Sinne eines „Domino-Effektes" beim fulminant auf Wachstum ausgerichteten kindlichen Organismus eine Art „zytogenetische Kettenreaktion" anstossen.

Häufige Impfungen während der Kindheit scheinen einen eher schützenden Effekt zu haben. Kinder, die in der frühen Kindheit vor (Infektions-) Krankheiten abgeschirmt wurden („immunologische Isolation"), scheinen auf spätere Exposition gegenüber Infektionserregern mit einer besonders starken Immunantwort zu reagieren; hier könnte ein größeres Risiko zur Zellentartung bestehen (Kaatsch 1998, Parkin 1999).

 

 

Pädiatrische Onkologie: auch ein juristisches Problemfeld

Die Zahl der durch iatrogene toxische Verfahren verursachten Neoplasien (v.a. Zweit-Tumoren nach Behandlung mit Zytostatika) liegt mit 2-3% in einem eher geringen Inzidenzbereich (Gutjahr, 1999). Die hier immer wieder von Gegnern einer aggressiven Therapie ins Feld geführte Argumentation, daß hier durch häufige Induktion von Zweittumoren quasi „der Teufel mit dem Beelzebub" ausgetrieben würde, erscheint angesichts der heute vorliegenden, und auf guter Dokumentation beruhenden Zahlen als unsinnig. Vor allem aber das Fehlen von wirksamen Alternativen bringt die Ablehnung einer klinisch-onkologischen Behandlung in ein moralisches Zwielicht. Ein einprägsames und warnendes Beispiel hierfür war der (vor etwa 3 Jahren durch die gesamte Laien- und Fachpresse gezogene) Fall der kleinen Olivia: ein kleines, an einem Wilms-Tumor erkranktes Mädchen wurde hier willfähriges Opfer eines isolationistisch-dogmatischen Showdowns durch einen offenbar psychopathischen „Heiler". Dieser Arzt, der als Ursachen aller Krebserkrankungen unisono psychische Konflikte postulierte, und der die Heilung von Krebs (ebenfalls unisono) durch eine von ihm selbst geschaffene „Konfliktolyse" in Aussicht stellte, vermochte es, die Eltern des Kindes angesichts drohender aggressiver Chemotherapie zu einer ablehnenden Haltung zu bewegen. Mehrere Monate lang wurde dem Kind eine klinisch-onkologische Behandlung durch die Eltern versagt, statt dessen übte sich der karismatische Heiler bei dem Kind (unter den Augen einer Schar herbeigerufener Journalisten) in „Konfliktolyse". Angesichts des (von der „Konfliktolyse" völlig unbeeindruckten) fulminant wachsenden Tumors erwirkten die Pädiater letztlich einen höchstrichterlichen Entzug des elterlichen Sorgerechts (und einen Entzug der Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde gegenüber dem „Heiler"). Die kleine Olivia wurde einer klinisch-onkologischen Therapie zugeführt, die den Tumor wie zu erwarten in eine Vollremission brachte. Heute ist Olivia tumorfrei, die Eltern lassen eine klinisch-onkologische Nachsorge zu.

Dieser Fall demonstriert zwei Problemebenen besonders deutlich: zum einen die Gefahr, die hier von dogmatischen und sich selbst überschätzenden Heilern ausgeht, die angesichts drohender aggressiver Therapieverfahren ein leichtes Spiel haben, Eltern zu irrationalen Handlungen zu veranlassen, und damit das Leben ihres Kindes zu gefährden.

Zum anderen wird hier die Fragestellung deutlich, wer eigentlich über das Leben eines Kindes zu entscheiden hat. Auch angesichts der dramatischen Folgen, die dieses ganze Szenario für das kindliche Erleben gehabt haben dürfte, erweist sich die staatsanwaltliche Intervention hier auch im Nachhinein als lebensrettend für das betroffene Kind.

Auch für den gesamten Bereich der Onkologie nimmt die Zahl von (sinnvollen, wie dubiosen) Angeboten zu „begleitenden" oder „alternativen" Verfahren oder Maßnahmen ständig zu; dies gilt besonders für die Angebote über die „Neuen Medien", insbesondere über das Internet. Es wird v.a. für medizinische Laien zunehmend schwieriger, sich hier einen Überblick zu verschaffen, und tatsächliche Innovationen von suspekter Geschäftemacherei zu trennen. Besonders problematisch ist diese Situation für Eltern, die sich nach einer Krebsdiagnosestellung ihres Kindes in dieser Richtung orientieren möchten. Der enorme psychische Druck, der in solchen Grenzsituationen für die Eltern existiert, wird von einigen Protagonisten mystisch-religiös- oder marketingorientierter „Heilmittel" skrupellos ausgenutzt. Dies kann (wie oben beschrieben) katastrofale Folgen haben.

Eine aktuelle Publikation des in obiger Angelegenheit genannten Heilers R.G. Hamer in der Zeitschrift Co`Med (Mai 2000), in der die Postulate des „psychischen Konflikts" als universelle Erklärung der Krebsentstehung, und die „Konfliktolyse" als universelles Heilsystem dargestellt werden, sprengt angesichts des hier erneut demonstrierten Mangels an medizinischen Kenntnissen jede ethische Grenze. Die Aufforderung, Krebspatienten eine Schmerztherapie vorzuenthalten, da Schmerz als „wichtige Heilkrise" gedeutet wird, ist m.E. nicht anders zu bewerten, als ein Aufruf zur fahrlässigen Körperverletzung.

Es ist müssig die Frage zu stellen, warum solchen selbsternannten Heilern, deren Beispiele es neben Hamer weitere gibt (Bsp. Hulda Clark´s „Zapper", Eric Nielsen´s „Cell Com", diverse exotische Wunderdrogen wie „Noni-Saft", „Angel-Water", „Papaya-Superconcentrate" u.v.a.m.) immer wieder ein Boden zur Selbstdarstellung gewährt wird. Gutgläubigkeit oder Unaufmerksamkeit der Redaktionen können es kaum sein (Hinweis: redaktionelle Verantwortlichkeit!). Vielmehr scheint hier ein Markt zu existieren, der auch in unserem Berufsstand Rattenfängern aller Couleur Tür und Tor öffnet, selbst wenn die Konsequenzen bei den derart mißhandelten Patienten tödlich sein können.

Ich empfehle im Fall der Verdachtsdiagnose einer kindlichen Krebserkrankung auf die Informationen der Deutschen Krebshilfe e.V., des Förderkreis für krebskranke Kinder e.V., oder auf die Hotline des Krebs-Informationsdienstes (KID) zurückzugreifen (Anschriften und Tel.-Nrn. im Anhang).

 

 

Häufige kindliche Tumoren und Systemerkrankungen:

die Leukämien.

Epidemiologie

Die Leukämien stellen mit rund 35% die häufigsten malignen Erkankungen im Kindesalter dar, jährlich erkranken rund 1700 Kinder in Deutschland an Leukämie. Etwa 80% dieser Erkankrungen fallen auf die Akut-Lymphatische Leukämie (ALL), 20% stellen Akut-Myeloische Leukämien (AML) oder nicht klassifizierbare Verlaufsformen dar. Dies stellt ein reziprokes Verhältnis gegenüber der Situation bei Erwachsenen Leukämiepatienten dar, bei denen in rund 80% die Akut Myeloische Leukämie, und in rund 20% die Akut Lymphatischen Leukämien zu registrieren ist.

Die kindlichen Leukämien sind hinsichtlich ihrer genetischen Ursachen gut untersucht und auch weitgehend chromosomal identifiziert: bei über 90% der ALL´s sind genetische Defekte nachgewiesen (Lion und Kovar 1996). Diese genetischen Defekte führen bei den Betroffenen zu einer zügellosen klonalen Vermehrung von Vorläuferzellen (Präkursorzellen) der T- oder B-Zell-Reihe innerhalb des Knochenmarks. Die Folge ist eine Verdrängung gesunder Zellpopulationen mit entsprechender klinischer Folgesymptomatik.

 

Symptomatik

Eine unspezifische Symptomatik wie Leistungsknick, Müdigkeit, Extremitätenschmerzen und Blässe lassen Eltern nicht selten zunächst an grippale Symptome oder kindliche Wachstumsschübe denken. In recht kurzer Zeit (4-6 Wochen) entwickelt sich allerdings ein leukämietypisches Krankheitsbild mit leukämischen Hauteffloreszenzen (leukämische Infiltrate der Haut), Haut- und Schleimhautblutungen (Verdrängung der Thrombopoese), Fieber (Verdrängung der Granulopoese), Bauchschmerzen (Hepatosplenomegalie) und Kopfschmerzen (leukämische ZNS-Infiltration).

Angesichts der bekannten Fulminanz akuter Leukämien sollte beim Auftreten einschlägiger Symptome eine baldige fachärztliche Diagnostik angestrebt werden, Zeitverzögerungen und „Behandlungsversuche" sollten vermieden werden.

Amerikanische Studien aus den Jahren 1926 und 1948, also vor Beginn der Zytostatikaära, weisen eindrucksvoll auf das Problem der Fulminanz im Verlauf unbehandelter Leukämien: 173 Patienten mit ALL und AML, die im Register des Sloan Kettering Cancer Center in New York erfasst wurden, zeigten eine mediane Überlebenszeit nach Auftreten der ersten Symptome von nur 17 Wochen. Nach 1 Jahr lebten von den Betroffenen noch 4 Patienten! (Southam, Craver und Dargeon, 1951)

 

Diagnostik

Das Blutbild weist in diesen Fällen bereits leukämietypische Veränderungen durch die einsetzende Knochenmarkverdrängung auf: Leukozytose, Thrombopenie, Granulozytopenie, Anämie. Im Diffenrenzialblutbild zeigen sich typische unreife Zelltypen (Blasten). Die hier diagnostisch folgende Knochenmarkbiopsie zeigt dann den Grad der bestehenden Verdrängung gesunder Zellpopulationen, der auch eine gewisse prognostische Einschätzung erlaubt. Eine Lumbalpunktion legt eine mögliche Beteiligung des ZNS fest (Leukämiezell-Pleozytose), oder schließt diese aus.

In den klinisch-chemischen Parametern dominieren erhöhte Spiegel von LDH und Harnsäure (erhöhter Leukozytenabbau). Als Komplikationen sind durch Harnsäureausfällung bewirkte Nierenfunktionsstörungen („Urat-Nephropathie") mit Verschiebungen des Elektrolythaushaltes, sowie hepatogen bedingte Gerinnungsstörungen denkbar.

Als relevanter Tumormarker kann die Thymidinkinase im Serum zur Verlaufskontrolle und Einschätzung der therapeutischen Effektivität mit hinzu gezogen werden.

In etwa 10% der kindlichen Leukämiepatienten sind in den bildgebenden Verfahren Mediastinumverbreiterungen durch Thymusvergrößerung oder leukämische Pleuraergüsse erkennbar (Röntgen Thorax). In 50% der Fälle bestehen durch leukämische Infiltrationen bedingte osteolytische oder osteoporotische Veränderungen im Skelett, v.a. in den Wirbelkörpern.

 

Therapie

Standard ist die Durchführung einer hochdosierten „Induktions-Chemotherapie", gefolgt von einer länger durchgeführten, ebenfalls intensiven „Konsolidierungs-Chemotherapie", der wiederum eine, meist dosisreduzierte „Erhalttherapie" folgt.

Das Ziel ist hierbei die Eliminierung eines größtmöglichen Teils der malignen Zellen durch die erste Behandlungsphase, und damit das Erreichen einer Vollremission. Eine Elimination von Residual-Tumorzellen durch eine intensive und in ihrer Zusammensetzung modifizierten Anschlussbehandlung , sowie der Erhalt der erreichten Remission durch eine dosisreduzierte Langzeittherapie ist heute die Regel. Dabei wird mit Remission das vollständige Verschwinden leukämischer Zellen im Knochenmarkpunktat definiert.

Standard ist zudem die intrathekale Zytostatikagabe, sowie die Schädelbestrahlung. Grund ist die geringe Liquorgängigkeit der üblichen Zytostatika und der hohe Anteil an ZNS-Beteiligung bei kindlichen Leukämiepatienten.

 

Prognose

Wie weiter oben bereits ausgeführt, sind die Prognosen für das Erreichen einer definitiven Heilung durch die heute angewandten Kombinations-Chemotherapien in der pädiatrischen Onkologie gut:

Für die ALL der Kinder liegt die Quote erreichter Vollremissionen bei nahezu 100%, die Langzeit-Heilungsquote bei 80-85% (gegenüber 20-40% bei Erwachsenen).

 

 

Die Akut Myeloische Leukämie AML

Hierbei bestehen hinsichtlich Ätiologie, Symptomatik und Therapie, aber auch hinsichtlich der Fulminanz des Verlaufs ähnliche Bedingungen wie bei der ALL. Die Erkankungshäufigkeit, wie auch die erreichbare Heilungsquote sind jedoch geringer.

Betroffen sind hier die Granulozyten und Monozyten, gelegentlich auch die Erythrozyten und die Megakariozyten, die durch Reifungsstörung und Proliferation zur einschlägigen Symptomatik führen.

 

 

Maligne Lymphome

Die malignen Erkrankungen des lymphatischen Systems werden in

Hodkin-Lymphome und

Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) unterschieden.

Dabei stehen in der pädiatrischen Onkologie die NHL zahlenmäßig, wie auch hinsichtlich ihrer Aggressivität im Vordergrund.

Die NHL stellen etwa 7% aller malignen Erkrankungen des Kindesalters. Sie verlaufen aufgrund ihres in der Regel hohen Malignitätsgrades fulminant, und weisen nach nur wenigen Wochen durch Infiltration des Knochenmarks kaum Unterschiede zum leukämischen Krankheitsbild auf.

 

Ätiologie

Die Ursachen für Lymphomerkrankungen sind unbekannt. Für die NHL wird eine virale Beteiligung vermutet. Erstmals 1958 durch BURKITT in Zentralafrika beschrieben, existieren auch heute noch in Afrika und Neu-Guinea „endemische" Lymphome, für die eine hohe Aktivität (in 95% der Fälle) von Epstein-Barr-Viren im betroffenen Gewebe nachgewiesen ist (EBV-DNA im Tumorgewebe, sowie hohe Spiegel von EBV-Antikörpern im Blutserum Betroffener). Bei den als „sporadisch" bezeichneten Lymphomen in Westeuropa ist eine EBV-Aktivität in rund 15% der Fälle nachweisbar. In beiden Fällen sind jedoch chromosomale Veränderungen auf dem Chromosom 8, sowie eine verstärkte Expression des c-myc-Oncogens nachgewiesen, die eine genetische, zumindst ko-kausale Rolle vermuten lässt.´(Henze 1999)

 

Symptomatik

Die NHL zeigen schnell typische derbe, schmerzlose, und ineinander verbackene Lymphknotenpakete. Je nach Lokalisation treten entsprechende Symptome durch mechanische Verdrängung auf:

Atemnot, Husten, Thoraxschmerz (thorakale und retrosternale Lymphknoten)

Opstipation, Bauchschmerz, Blut am Stuhl (abdoninale Lk)

Übelkeit, Erbrechen, Vertigo, Ataxie (zentraler Befall)

Parästhesien, Paresen, Querschnittsymptomatik (spinaler Befall)

Knochenschmerzen (ossärer Befall).

Im Gegensatz zum NHL tritt die spezifische Symptomatik beim Morbus Hodgkin deutlich langsamer ein, häufig ist ein isolierter, zervikal tastbarer und symptomloser Lymphknoten erstes auffälliges Symptom, nicht selten verbunden mit fieberhaften Zuständen. Die beim erwachsenen Hodgkin-Patienten typischen Symptome wie Nachtschweiss und Gewichtsverlust, spielen bei Kindern eine eher untergeordnete Rolle.

 

Diagnostik

Die körperliche Untersuchung und bildgebende Verfahren weisen in der Regel phänotypische vergrößerte Lymphknotenpakete nach, die Lymphknoten- und Knochenmarkbiopsie sichert die Diagnose. Je nach Erkrankungsstadium können im Differentialblutbild bereits leukämische Zeichen erkennbar sein (Leukozytose, Blasten). Die Lumbalpunktion sichert u.U. einen ZNS-Befall.

Patienten mit NHL, stärker noch Patienten mit Morbus Hodgkin, weisen in der Regel sehr hohe Blutsenkungsgeschwindigkeiten, sowie eine hohe LDH auf. Laboranalytische Klärung der Elektrolyte und Nierenwerte sind hier unverzichtbar, da NHL eine hohe Proliferation und Tumorlyse aufweisen, was schnell zu bedrohlichen Störungen der Nierenfunktion führen kann (Uratnephropathie). Phänotypisch sind hier auch Verschiebungen im Eisen-Kupfer-Serumbefund (Eisen niedrig, Kupfer erhöht), sowie erhöhte Ferritin- und CRP-Spiegel als Ausruck einer gesteigerten entzündlichen Akut-Phase-Immunantwort.

Differenzialdiagnostisch müssen lymphotrope Infektionen (v.a. EBV, Mononukleose, Zytomegalievirus, Toxoplasmose) ausgeschlossen werden.

 

Therapie

Ähnlich wie bei den Leukämien, gilt für die NHL, wie für den Morbus Hodgkin heute eine rund 90-95%ige Heilungsaussicht durch die moderne Kombinations-Chemotherapie (beim Morbus Hodgkin wird die Chemotherapie durch eine postzytostatische Strahlentherapie ergänzt). Im Gegensatz zu den Leukämien ist hier die Phase der intensiven Therapie deutlich kürzer (Wochen bis Monate), und bedarf in der Regel keiner Langzeit- „Erhalttherapie" mit Zytostatika.

 

 

Maligne ZNS-Tumoren

Jährlich erkranken in Deutschland etwa 10 Menschen pro 100 000 Einwohner an bösartigen Tumoren des Zentralnervensystems. Im Alter bis zum 15. Lj liegt die Inzidenz bei etwa 2,5 Erkrankungen pro 100 000 Kindern, d.h. in jedem Jahr erkranken etwa 300 Kinder an bösartigen ZNS-Tumoren.

18-20% aller bösartigen Neubildungen bei Kindern sind ZNS-Tumoren.

 

Ätiologie

Die Ursachen für maligne ZNS-Tumoren sind bis heute weitgehend unklar. Neben genetischen Faktoren, die sich auf Erfahrungen aus erhöhtem Auftreten bei bestimmten familiär-dominanten Erkrankungen stützen (Bsp.: Neurofibromatose, Tuberosklerose, Familiäre Adenomatöse Polyposis FAP, Li-Fraumeni-Syndrom, Morbus Recklinghausen, von-Hippel-Lindau-Syndrom).

 

 

Histologie, Pathologie

Der Großteil dieser Tumorentität wird durch intracranielle Astrozytome repräsentiert, gefolgt von Medulloblastomen, Ependymomen, Kraniopharyngeomen und Glioblastomen, sowie weiteren unterschiedlichen Tumorentitäten. Die Dignität (=Malignität) dieser Tumoren ist sehr uneinheitlich, die Medulloblastome, Ependymome und Glioblastome gehören hier zu den aggressivsten Vertretern.

Hinzu kommen die primitiven neuroektodermalen Tumoren (PNET).

 

Symptomatik

Das klinische Bild ist vordergründig geprägt von neurologischen Symptomen, die sich je nach Art, Größe und Sitz des Tumors unterschiedlich präsentieren können:

Hirndrucksymptome wie persistierende Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit/Apathie/Koma, plötzliche Krampfanfälle (Grand Mal, Petit Mal, Jackson-Anfälle),

Wortfindungsstörungen bis zur Aphasie,

opthalmologische Symptome (Doppelbilder, Flimmerskotom, Nystagmus),

osmische Sensationen,

Vertigo und Ataxie,

Parästhesien und Paresen

sind Alarmsignale für eine sofortige neurologisch-pädiatrische Diagnostik.

In den meisten Fällen stechen tumorbedingte Symptome aufmerksamen Eltern aufgrund ihrer Prägnanz auch gegenüber passageren Befindensstörungen oder einem Leistungsknick von Kindern ins Auge.

 

 

Diagnostik

Die bildgebenden Verfahren (CT, MRT) in Verbindung mit neurologischem Status, EEG, ophthalmologischem Befund und Lumbalpunktion sichern in der Regel die Verdachtsdiagnose eines ZNS-Tumors, der dann entweder mittels stereotaktischer Biopsie oder im Rahmen eines neurochirurgischem Schädeleingriffs histologisch gesichert wird.

Tumormarker oder spezifische serologische Nachweisverfahren bestehen hier nicht. In der Regel finden sich hier auch keine typischen immunologischen Verschiebungen, wie wir sie von den Befunden Erwachsener mit extracraniellen soliden Tumoren kennen: die Hirntumoren fallen (sowohl beim Erwachsenen, wie bei den Kindern) aus der „Immune-Surveillance-Theorie" heraus. Zumindest aber finden sich keine typischen Störungen der zirkulierenden tumorspezifischen Immunantwort.

 

Therapie

Kurative Möglichkeiten bestehen hier praktisch nur in der vollständigen operativen Tumorentfernung, die je nach Größe und Lage häufig á priori nicht möglich ist (Folgeschäden). Lediglich für die Medulloblastome, Ependymome und Keimzelltumoren besteht aufgrund einer gewissen Radiosensibiliät eine Interventionsmöglichkeit durch Strahlentherapie, oder (mit noch geringerer Ansprechquote) durch Zytostatika.

In der symptomatischen Behandlung stehen die Gaben hoher Cortisondosen und (je nach Symptomatik) Antikonvulsiva im Vordergrund. Die gute Liquorgängigkeit von Cortison kann die bestehende Akutsymptomatik des in der Regel bestehenden paratumorösen Hirnödems gut und schnell beeinflussen. Neuere Ansätze aus der Behandlung erwachsener Hirntumorpatienten mit Extrakten aus dem Weihrauch (Boswellia serrata) haben bislang keinen Eingang in die pädiatrische Onkologie gefunden; jedenfalls liegen bisher keine aussagefähigen Studien hierzu vor, so daß ein Ersatz des Cortison durch Weihrauch bei Kindern derzeit nicht empfehlenswert erscheint.

 

Prognose

Es kann keine generelle Angabe zur Prognose von ZNS-Tumoren gegeben werden. Dies liegt zum einen an der Bedeutung von Histologie, Größe und Lokalisation des Tumors, und letztlich an der Frage der Operabilität. Insgesamt kann gesagt werden, daß der Neurochirurgie in diesem Bereich die größte Möglichkeit zur kurativen Intervention eingeräumt werden muß.

 

 

Maligne Weichteiltumoren

Während maligne Weichteiltumoren allgemein nur knapp 1% aller malignen Tumoren ausmachen, stehen sie bei den soliden Tumoren des Kindes- und Jugendalters an dritter Stelle. In Deutschland wurden im Jahr 1992 insgesamt 1074 Todesfälle registriert, die auf diese Tumorart zurückzuführen waren. Bei Kindern handelt es sich hier vorwiegend um embryonale Tumoren, die sich also bereits in der Entwicklung des Organismus als Reifungs- und Entwicklungsstörung des mesenchymalen Gewebes bilden. In fast 70% der Fälle kindlicher Weichteiltumoren handelt es sich um maligne, von der sich entwickelnden quergestreiften Muskulatur ausgehende Rhabdomyosarkome. Weitere maligne Weichteiltumoren sind Fibrosarkome, Leiomyosarkome, Hämangioperizytome, Histiozytome und andere Entitäten.

 

Ätiologie

Die Ursachen für die Entartung sind unklar, genetische Faktoren mit familiärer Häufung werden angenommen. So sind Zusammenhänge im Sinne eines erhöhten Risikos beim Li-Fraumeni-Syndrom und der Neurofibromatosis Recklinghausen gesichert. Unsicherer sind Beobachtungen, nach denen sich Rhabdomyosarkome nach Strahlenbehandlungen ausbilden.

 

Symptomatik

Das klinische Beschwerdebild ist abhängig von der Tumorlokalisation. In einer Untersuchung der Universitätskinderklinik Mainz von 1968-1997 wurde bei 87 untersuchten Kindern die häufigste Lokalisation (zu 52%) an der Kopf-Hals-Region (davon zu 30% an der Orbita), der Urogenitalregion (28%) und nur zu 7% an den Extremitäten festgestellt. (Gutjahr, 1999)

Dementsprechend können derbe, beschwerdelose Schwellungen der Gesichtsregion, Nebenhöhlenbeschwerden, Exophthalmus, Parästhesien und Paresen (Nervenkompression und -infiltration), Schmerzen (Nerven- und Periostkompression und -infiltration), bis hin zu Ileus und Harnverhaltung (abdominale Kompression bzw. Infiltration) auftreten.

 

Diagnostik

Im Vordergrund stehen Nachweise durch bildgebende Verfahren (Sonografie, CT, MRT, Röntgenkontrastverfahren), die durch bioptische Verfahren gegenüber gutartigen Tumoren (z.B. Fibrome, Hämangiome, Zysten, Polypen), oder auch anderen malignen Erkrankungen (leukämische Infiltrate, Metastasen anderer Tumoren, Neuroblastome etc pp) abgegrenzt werden müssen. Die Biopsie ist hier wegen der u.U. vollständig unterschiedlichen Therapieansätze wichtig.

Spezifische Tumormarker oder andere serologische Untersuchungsmethoden stehen hier nicht zur Verfügung.

 

Therapie

Die operative Therapie in Kombination mit moderner Strahlentherapie und zytostatischer Behandlung ist hier Standard. Die Prognose für den Behandlungserfolg ist naturgemäß sehr stark von der Ausbreitung bei Diagnosestellung, sowie von der Lokalisation und dem histologischen Typus abhängig. Entscheidend ist in allen Fällen die Möglichkeit der vollständigen Tumorentfernung: hier liegt die Überlebenswahrscheinlichkeit insgesamt nach 5 Jahren bei 89%, während diese auf 29% sinkt, wenn der Tumor nur um ein Drittel reduziert werden konnte (Gutjahr 1999).

Besonders günstig liegt die Prognose bei den orbitalen Rhabdomyosarkomen, für die durch kombinierte Behandlung (OP+Radiotherapie+Chemotherapie) eine andauernde Heilung von 75% angegeben wird (Vade und Armstrong 1987).

 

 

Spezielle Problematik: Hochdosis-Chemotherapie

Die Hochdosis-Chemotherapie stellt eine intensivmedizinische Interventionsmöglichkeit dar, die v.a. bei malignen Systemerkrankungen genutzt wird. Hierbei wird der Patient nach Entnahme von Knochenmark einer letalen Chemotherapie unterzogen, die zu einer therapeutisch induzierten Knochenmark-Aplasie (=Myeloablation) führt. In einigen Fällen wird dies zudem mit einer letalen Ganzkörper-Radiatio kombiniert. Anschließend wird durch Re-Transplantation des autologen Knochenmarks, sowie durch Gabe von Zytokinen und rekombinanten Wachstumsfaktoren (Koloniestimulierende Faktoren) die „Implantation" eines gesunden Knochenmarks angestrebt.

Ausgangspunkt für diese Therapieoption waren Erkenntnisse um die Abhängigkeit kompletter und anhaltender Remissionen von der eingesetzten Zytostatikadosis. Die durch die Toxizität zwangsläufig bedingten Dosisbegrenzungen führen häufig zu absehbaren Rezidiven durch verbliebene Resttumorzellen, die ihrerseits wiederum chemotherapieresistent wurden. Um diesen Teufelskreis von limitierter Chemotherapiedosierung, Rezidivbildung und Chemoresistenz zu durchbrechen, wurden wie oben beschriebene letal dosierte Zytostatika-Regimes unter intensivmedizischer Abschirmung durchgeführt und untersucht.

Ergebnisse v.a. aus der Behandlung des Plasmozytoms Ende der 80er Jahre (Sporn und McIntyre, 1986; Buzaid und Durie, 1988; Harrousseau, 1987) zeigten hier eine z.T. deutliche Verbesserung sowohl der Ansprechraten, wie auch der Remissions- und Gesamtüberlebensrate. Weitergehende Untersuchungen dieser Therapievariante an Leukämien und auch an verschiedenen soliden Tumorarten (Mamma-, Ovarial-, Hodenkarzinomen, SCLC) verliefen jedoch eher ernüchternd.

Heute gilt die Empfehlung zum Einsatz der „myeloablativen" Hochdosistherapie lediglich für hochmaligne Lymphome, das Plasmozytom, sowie (eingeschränkt) für die Akut-Myeloische Leukämie. (Savarese et al., 1997, Der Arzneimittelbrief 1998)

Zudem stellt das Problem re-transfundierter Tumorzellen aus dem eigenen Knochenmark einen weiteren Faktor dar, der den Einsatz der „myeloablativen" Hochdosistherapie in Frage stellt: Brenner et al. wiesen nach, daß bei einem nicht unerheblichen Teil der derartig behandelten Patienten eine Rezidiverkrankung durch re-transfundierte autologe Tumorzellen auftrat. (Brenner et al., 1993)

Diesem Problem wird heute durch Immunseparation oder „Purging-Verfahren" begegnet, bei dem durch verschiedene Techniken eine Identifizierung und Separierung maligner Zellen vor der Re-Infusion oder Re-Transplantation an den Empfänger versucht wird. Hier bleiben die Ergebnisse einschlägiger Studien abzuwarten. (Licht, 1998)

Nicht unterschlagen werden sollte in diesem Rahmen die spezielle psychologische Problematik solcher Therapievarianten im Rahmen der Pädiatrie: Patienten unter Hochdosischemothrapie verbringen wochenlang in speziellen keimfreien Zellen, in denen auf Grund der induzierten Knochenmarkaplasie zwangsläufig kein direkter Kontakt zu anderen Menschen möglich ist. Folgen durch Hospitalismus bei derart behandelten Kindern stellen eine besondere Herausforderung für die pädiatrische Onkologie dar.

 

 

Regionale Chemotherapie

Eine hochwirksame Variante der Chemotherapie stellt die regionale oder auch Perfusions-chemotherapie dar. Hier wird eine vielfach verstärkte, gegenüber der systemischen Chemotherapie z.T. um siebzigfach höhere Zytostatikadosis mittels arteriellem Katheder direkt in das Tumorgewebe appliziert, um anschließend aus dem venösen Rückstromblut wieder separiert zu werden. Vorteil ist hier das Erreichen von Extremdosen innerhalb des Tumorgewebes, und somit eine selektive Letaldosis. Dabei wird durch die anschließende Separation eine systemische Wirkung weitgehend vermieden. Voraussetzung ist hier allerdings das Erreichen eines tumorzuführenden arteriellen Gefäßes in einem entsprechenden operativen Eingriff, sowie eine gute Durchblutungssituation des Tumors. Letzteres kann durch intraoperative Applikation eines gewebsanfärbenden Stoffes geklärt, und damit die Indikation für eine regionale Chemotherapie gestellt werden. Der Nachteil dieser Therapievariante liegt in der mangelnden systemischen Wirkung (Aigner).

 

 

Korrespondenzanschrift:

Manfred Kuno
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* Auszüge dieses Beitrages erschienen in der Ausgabe 07/2000 der Zeitschrift NATURHEILPRAXIS (R.Pflaum Verlag, München).

 

 

Appendix:

In 41 deutschen Städten existieren heute Tumorzentren, denen in den meisten Fällen Abteilungen für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie angeschlossen sind. Die Anschriften von Pädiatrisch-Onkologischen Zentren in Wohnnähe, wie auch weitergehende Informationen zum Thema Pädiatrische Onkologie sind zu beziehen über:

Deutsche Krebshilfe e.V.

Thomas Mann-Str. 40, 53111 Bonn, Tel.: 0228-729900

Förderkreis für krebskranke Kinder e.V.:

Büchsenstr. 22, 70174 Stuttgart, Tel.: 0711-297356.

Eine weitere Möglichkeit ist die Inanspruchnahme des Krebs-Information-Dienstes KID in Heidelberg unter der Hotline-Nr. 06221-410121.

 

 

Quellen, Grundlagen- und weiterführende Literatur:

Brenner MK, Rill DR, Moen RC et al.. Gene-Marking to Trace Origin of Relapse Autologous Bone-Marrow Transplantation. Lancet 1993; 341: 85.

Buzaid AC, Durie BGM. Management of Refractory Myeloma: a Review. J Clin Oncol 1988; 6: 889.

Der Arzneimittelbrief 1988; 3 (32): 21.

Gutjahr P. Krebs bei Kindern und Jugendlichen. Köln; Dt. Ärzteverlag: 1999 (4.Auflage)

Harrousseau JL, Milpied N, Garand R, Nourhis JH. High Dose Melphalan and Autologous Bone Marrow Transplantation in High-Risk-Myeloma. Br J Haematol 1987; 67: 493.

Henze G. Maligne Non-Hodgkin-Lymphome, in: Gutjahr P. Krebs bei Kindern und Jugendlichen. Köln; Dt. Ärzteverlag: 1999 (4. Auflage): 275-93.

Höpping W, Hawers W, Passarge E. Retinoblastom. In: Bachmann KD. Ewerbeck E, Kleinhauer E. Pädiatrie in Praxis und Klinik (Bd. III); Stuttgart; Fischer/Thieme, 1990: 755-70.

Horshemke B. Genetics and Cytogenetics of Retinoblastoma. Canc Genet Cytogenet 1992; 63: 1.

Ichimaru T, Otake M, Ichimaru M. Dose Response Relationship of Neutrons and Gamma-Rays to Leukemia Incidence among Atomic Bomb Survivers in Hiroshima and Nagasaki by Type of Leukemia 1950-1971. Radiat Res 1979; 77: 377.

Kaatsch P, Kaletsch UP, Spix C, Michaelis J. German Childhood Cancer Registry - Annual Report 1998 (Jahresbericht 1998 des Deutschen Kinderkrebsregisters), Technischer Bericht des Instituts für Medizinische Statistik und Dokumentation, Universität Mainz, 1999.

Kaletsch UP, Kaatsch J, Michaelis J. Jahresbericht 1995 des Deutschen Krebsrigisters; Mainz: 1996.

Kovar H, Jug G, Aryee DNT. Among Genes involved in the RB dependent Cell Cycle Regulatory Cascade. The p16 Tumor Suppressor Gene is frequently lost in the Ewing Family of Tumors. Oncogene 1997; 15: 2225-32.

Licht Th. Pleiotrope Zytostatikaresistenz (Multidrug Resistance) und Hochdosischemotherapie, in: Ganten D, Ruckpaul K. Handbuch der Molekularen Medizin Bd. 2, Tumorerkrankungen; 1998 Berlin-Heidelberg, Springer: 65-87.

Lion T, Haas OA, Harbott J. The Translocation t(1;22)(p13;q13) is a nonrandom Marker specifically associated with Acute Megacariocytic Leukemia in Children. Blood 1992; 79: 3325-30.

Parkin DM, Kramárová E, Draper GJ, Masuyer E, Michaelis J, Neglia J, Qureshi S, Stiller CA (Hsg). International Incidence of Childhood Cancer, Vol II, IARC Scientific Publication No.144, Lyon 1999.

Southam CM, Craver LF, Dargeon HW. A Study of the Naturel History of Acute Leukemia with Special Reference to the Duration of the Desease and the Ocurrence of Remissions. Cancer 1951; 4: 39-59.

Savarese DMF et al.. Clin Oncol 1997; 15: 2981.

Sporn JR, McIntyre OR. Chemotherapy of previously untreated Myeloma Patients: an Analysis of Recent Treatment Results. Semin Oncol 1986; 13: 318.

Vade A, Armstrong D. Orbital Rhabdomyosarcoma in Childhood. Radiol Clin N Amer 1987; 25: 701.