Heilpraktiker
in der Krebstherapie: (selbst-) kritische Gedanken
von
Manfred D. Kuno, Berlin
Hinweis:
dieser
Beitrag wurde in der Ausgabe 8/2000 der Zeitschrift VOLKSHEILKUNDE & DER
HEILPRAKTIKER, Organ des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker e.V. (FDH) unter
folgendem Titel publiziert:
Wunschdenken,
Rationalität und Wissenschaftlichkeit in der Krebstherapie
oder:
vom Möchtegern zum Tunichtgut,
kritische
Gedanken zur Rolle der Naturheilkunde bei einer schweren chronischen Krankheit.
Jedes
Jahr erkranken in Deutschland etwa 350.000 Menschen an bösartigen Geschwulst-
oder Systemerkrankungen. Jährlich sterben in unserem Land etwa 220.000 Menschen
an den Folgen von Krebs. Rein rechnerisch bedeutet dies, daß rund zwei Drittel
der an Krebs erkrankenden Menschen an ihrem Leiden (trotz aller therapeutischen
Bemühungen) versterben. Diese vom Robert-Koch-Institut Berlin/Bonn jährlich
veröffentlichten Zahlen zur Krebsinzidenz und -mortalität zeigen seit Beginn
der Todesursachenstatistik in Deutschland (Ende der 50er Jahre) einen langsam
aber stetig steigenden Trend.
Wie
in solchen komplexen und komplizierten Zusammenhängen üblich, gesellt sich zu
einem anhaltend unheilbaren Phänomen früher oder später eine Reihe
fataler Reaktionsweisen: technokratischer Fatalismus, zynische Arroganz, ethisch
fragwürdige Studienprotokolle, heroische experimentelle Medizinstrategien
treten dem als inkurabel titulierten Tumorpatienten häufig im Bereich der
klinischen Onkologie entgegen.
Irrationalismus,
Mystizismus, religiös verbrämter Missionarismus, Parawissenschaften und
autistisch-undiszipliniertes Denken und Handeln begegnen dem nach Strohhalmen
Suchenden häufig auf der Seite der Alternativen Medizin.
Das
Opfer ist hier in jedem Fall der Patient, der in weiten Teilen der
(schulmedizinischen und naturheilkundlichen) Onkologie zum willfährigen, weil
nach Hilfe suchenden Spielball unterschiedlicher Interessen wird.
Aus
Beschreibungen des Mittelalters kennen wir die dubiosen Heiler, die mit teuren
aber unwirksamen Tinkturen, Pasten, Salben und Essenzen der Pest zu Leibe zu rücken
versprachen. Angesichts der Hilflosigkeit der offiziellen Medizin war und
ist es für Protagonisten der z.T. unglaublichsten Behandlungsansätze
auch heute bei Tumorerkrankungen noch immer zu leicht, sich Eingang in den
Krebsmarkt zu verschaffen, damit eine Menge Geld zu verdienen (das
geringste Problem!), und Tumorpatienten u.U. wirksamen Therapieverfahren zu
entziehen (das größere Problem!).
Der
Berufsstand der Heilpraktiker scheint in immer wiederkehrenden Zyklen ein
bedeutsamer Sektor für dubiose Verfahren in der Krebsdiagnostik, -therapie oder
-prävention zu sein. Daß die Protagonisten z.T. subtile Vertreter des ärztlichen
Berufsstandes sind, die (aus was für Gründen auch immer) jeden Boden
rationaler Vernunft verlassen haben, scheint diese eher interessant zu machen,
als zu kritischer Distanz zu führen. Aktuelle Beispiele für solche Vorgänge
sind die Aktivitäten der US-amerikanischen Ärztin Hulda Clark, wie auch das
erneute Auftreten des selbsternannten Wunderheilers Ryke Geerd Hamer (siehe
weiter unten).
Aber
auch innerhalb unseres Berufsstandes treffen Krebspatienten immer wieder auf
Verfahren und Methoden, die (ohne jedes nachvollziehbare Fundament) zu
Wundermethoden hochstilisiert, und damit gut vermarktet werden. Natürlich liegt
es im Ermessen eines jeden Menschen, sich auch nicht nach herrschenden Termini
als wirksam klassifizierten Methoden der Diagnostik oder Behandlung zu
unterziehen. Werden jedoch durch solcherlei Praktiken Verzögerungen in der
Diagnostik oder Verschleppungen definitiv wirksamer Therapien verursacht,
tauchen wir in einen dubiosen Sumpf von Grauzonenverfahren, die ethisch fragwürdig
und nicht selten sogar strafrechtsrelevant sind. In jedem Fall handelt es sich
bei diesen Grauzonenverfahren um rein experimentelle Ansätze. Dieser Umstand muß
Patienten ausführlich erklärt, und von den Betroffenen unterzeichnet werden
(Aufklärungspflicht!).
Krebs
ist aus den heutigen Kenntnissen eine vielschichtige Gruppe von Erkrankungen,
die unterschiedliche Ursachen haben, bei denen für die meisten Tumorarten noch
immer sehr viel Dunkelheit im Forschungs- und Kenntnisstand besteht. Dieser
Umstand berechtigt jedoch nicht zur Anwendung jeglicher Art von Verfahren, die
als Folge von Einzelbeobachtungen und der Errichtung persönlicher Hypothesen
mit Begriffen wie Neue Medizin nach Hamer, Heilung aller Krebsarten
nach Clark Noni: Krebs-Wundersaft aus der Südsee, Tod des Tumors
durch Öl-Eiweiß-Diät oder ähnlich
tituliert werden. Das Krebsgeschehen ist in Ätiologie und Verlauf ein viel zu
komplexes Geschehen, als daß wir auf ein Wundermittel hoffen dürften,
welches eines Tages als universelles Heilmittel zu Verfügung stehen wird.
Diese
möglicherweise ernüchternde Erkenntnis betrifft gleichwohl die moderne
naturwissenschaftliche Forschung, wie den Bereich der Alternativmedizin.
In wohl keinem Bereich der Medizin sind wir von einer Lösung soweit
entfernt, wie im Bereich der Onkologie. Vermutlich ist es dieser Umstand, der
uns anfällig macht für marktschreierisch angepriesene simple Lösungen.
Und tatsächlich: wie erleichternd wäre die Bestätigung z.B. der Hypothese
eines universellen Krebserregers, wie dies beispielsweise von Hulda Clark
als lapidare Behauptung in die Welt gesetzt wird.
Wie
es zu erwarten war, zeigen uns jedoch simple (weiter unten ausgeführte) Fakten,
daß es sich hier um eine gefährliche Irrlehre handelt; gefährlich deshalb,
weil der Angst vor der Infektiosität des Krebses neue (irrationale) Nahrung
zugeführt wird, und gefährlich deshalb, weil sich etliche hoffende
Krebspatienten (unterstützt von unkritischen Therapeuten) dieser vermeintlichen
simplen Heilungsmöglichkeit zuwenden, und damit effektiven Therapien verschließen.
Um
so wichtiger ist hier die Einnahme einer kritischen Position, die von
Protagonisten vermeintlicher neuer Erkenntnisse und Krebsheilmittel einen klaren
und vor allem reproduzierbaren Beweis für ihre Behauptungen einfordern muß.
Der lapidare Hinweis auf beobachtete Therapieerfolge reicht keinesfalls aus.
Derjenige, der hier neue Ansätze in Prävention, Diagnostik und Therapie des
Krebses anbieten möchte, muß sich anstrengen, muß auf der Basis allgemein
anerkannter Richtlinien dokumentieren, und muß vor allem in ständiger
(selbst-) kritischer Weise die Richtigkeit der Beobachtungen überprüfen und überprüfen
lassen.
Wir
stehen nicht nur uns selbst, dem nach Rat und Hilfe Suchenden, sondern auch
unserem Berufsstand und unserer Gesellschaft gegenüber in hoher Verantwortung.
In der Zeit des zusammen wachsenden Europa, in dem Qualitätssicherung,
Professionalisierung und Patientenschutz von leeren Worthülsen zu definierten
Begrifflichkeiten werden, dürfen wir uns nicht in einer bequemen wer-heilt-hat-recht-
Haltung zurücklehnen. Es gibt keinen triftigen Grund anzunehmen, daß unser
Berufsstand von den immer weiter und exakter definierten Qualitätssicherungs-Kriterien
verschont werden könnte. Einige Berufsverbände und kollegiale Arbeitskreise
beginnen zunehmend auf diese Herausforderung zu reagieren. Im besonders
sensiblen Themenbereich der Krebserkrankung ist auf den Verzicht auf irrationale
Ansätze in Diagnostik, Therapie und Prävention besonderes Gewicht zu legen.
Der
Mangel an Erfolgen in der orthodoxen und (scheinbar oder tatsächlich)
wissenschaftlich abgesicherten Onkologie beflügelt die alternative
Therapeutenszene (übrigens ebenso wie die orthodoxe Onkologie) zu
in-vivo-Experimenten am Testopfer Mensch. Der Krebskranke wird in einer Art
sozialmedizinischem Sonderstatus fixiert, er gilt noch lebend- bereits als
tot, und es gilt als legitim, an ihm in der verbleibenden Zeit Experimente im
postulierten Interesse der Allgemeinheit durchzuführen. Dabei wird dem
Betroffenen stillschweigend die Rolle des heroischen in-vivo-Experiment-Opfers
verweigert, der Krebskranke erhält auch keine Salaire für die Teilnahme an
diversen Tests wie dies bei freiwilligen Probanden z.B. in der Erprobung neuer
Substanzen in der Pharmaindustrie üblich ist. Hier wie dort eröffnet sich über
die postulierte Unheilbarkeit ein Testfeld in der Größenordnung von jährlich
rund 350.000 Menschen.
Während
sich die naturwissenschaftlich ausgerichtete Onkologie nach rund acht
Jahrzehnten belegter Unwirksamkeit der modernen Chemotherapie in immer neuen
Substanzentwicklungen und Kombinations-Chemotherapien versucht, und seit nun
etwa zwei Jahrzehnten auf dem Weg der Gentechnologie das gleiche Desaster
anstrebt, hat es hier immerhin durch die Einführung von Ethikkommissionen und
Konsensuskonferenzen zumindest den Anschein einer humanistischen
Kontrollinstanz.
Als
Motor für diese Entwicklung darf jedoch nicht fälschlicherweise ein tatsächlich
schlechtes Gewissen konstatiert werden, als vielmehr der enorme Kostendruck, der
sich durch unser Post-Wirtschaftswunder-Syndrom auch innerhalb der Medizin
entwickelt hatte und heute mittels Krisenmanagement beherrscht werden muß. Am
Beispiel der Einschränkung medizinischer Stagings bei mammakarzinomkranken
Frauen wird dies besonders deutlich: während über Jahrzehnte ein halbjährliches,
intensives, postoperatives Screening zur Ausschlußdiagnostik viszeraler
Metastasen üblich war und mittels aufwendiger bildgebender und labortechnischer
Verfahren durchgeführt wurde, raten Konsensuskonferenzen heute dazu, auf die
teuren CT- und Szinitigrafiekontrollen in der Nachsorge zu verzichten, da sich
hieraus sowieso keine therapeutische Konsequenz ergebe. Zum Beispiel wäre im
Falle einer systemischen Metastasierung die Konsequenz eine systemische
Chemotherapie. Der Effekt im Sinne einer Lebenszeitverlängerung (von Heilung
spricht hier niemand mehr!) ist unabhängig von dem Zeitpunkt, an dem diese
Therapie begonnen wird. Anders ausgedrückt: Man kann auf die teuren
Untersuchungen verzichten und darauf warten, daß die Patientinnen eindeutige
Symptome aufweisen. Das onkologische Procedere ist in jedem Fall (mangels
Alternativen) das gleiche: Chemotherapie ohne Anspruch auf Heilung.
In
der Öffentlichkeit und gegenüber den krebskranken Frauen wird das natürlich
anders vertreten: Man verzichtet auf invasive und die Patienten belastende
Verfahren.
Ein
anderes Beispiel mag den sozialmedizinischen Narrenkäfig verdeutlichen: Seit
etwa eineinhalb Jahrzehnten ist bekannt, daß die radikale Mastektomie beim
Mammakarzinom keinerlei Vorteile (hinsichtlich Rezidiv- und Metastasenhäufigkeit
sowie hinsichtlich der Gesamtüberlebenszeit) gegenüber der brusterhaltenden
Segmentresektion bietet. Die Zahlen sind eindeutig und die Empfehlungen der
onkologischen Konsensuskonferenzen sind in jeder Schwerpunktausgabe zum Thema
Mammakarzinom der Fachliteratur wie z.B. DER ONKOLOGE (Organ der Deutschen
Krebsgesellschaft) nachzulesen. Dennoch halten sich nur wenige gynäkologische
Chirurgen an diese Empfehlungen. In der Regel wird weiterhin die heroische
(radikale) Chirurgie bevorzugt, bis hin zu präventiven Ablationen bei genetisch
vorbelasteten Frauen. Ob dies nun die Folge eines verzweifelten Fatalismus
angesichts der therapeutischen Impotenz bei Krebs ist, oder ob sich hier oder da
ein Chefarzt eine xte Publikation in einer xten Multizenterstudie
zusammenoperieren will, bleibt offen. Sicher ist nur die Folge: ein Heer unnötig
abladierter und damit psychisch und körperlich verstümmelter Frauen.
Die
Beispiele heroisch-experimenteller Therapien bei Krebs ließe sich beliebig
fortsetzen. Insbesondere auf dem Gebiet der Chemotherapie zeigen sich die Opfer
zytostatischer Verstümmelungen in unseren Praxen. Wenn nach (erfolgloser)
Durchführung des xten zytostatischen Therapieprotokolls die Menschen als
austherapiert in die Naturheilpraxen kommen (versuchen Sie es doch mal
mit Mistel...), sehen wir schwerst katabole, toxisch hochbelastete und
immunologisch ausgebrannte Menschen, die nur noch vom Funken der irrationalen
Hoffnung getrieben zu uns kommen. Ein tragisches Szenario, in dem sich dann
nicht selten orthodoxe Onkologen zu dem zynischen Hinweis hinreißen lassen, daß
sich hier nun die Unwirksamkeit der komplementären Therapien beweise... .
Es
war ein Luftangriff der Alliierten Truppen auf den von Nazideutschland besetzten
italienischen Hafen Bari im Jahre 1942, der die Ära der modernen Chemotherapie
des Krebses einleitete: ein nazideutscher Tanker, der eine große Ladung des
Giftgases Stickstoff-Lost (=Cyclophosphamid) für die Monte-Cassino-Front
entlud, wurde getroffen, Stickstoff-Lost wurde in großen Mengen freigesetzt,
und in den folgenden Wochen erkrankte ein Großteil der Hafenarbeiter und
Marinesoldaten vor Ort an Symptomen der Knochenmark-Aplasie. Das Stickstoff-Lost
hatte massive Schäden an allen Zellen mit hoher Proliferation bewirkt, und die
entsprechenden Symptome ausgelöst: Myelosuppression, Infektionen, Haarausfall,
Mucositis. Es dauerte, durch die Kriegswirren verzögert, noch knapp 10 Jahre,
bis dieses Bari-Phänomen zur Zulassung des ersten Zytostatikums in
Deutschland führte: Cyclophosphamid. Verbunden mit dieser Zulassung, und den
darauf in schneller Folge auf den Markt drängenden Neuzulassungen von
Zytostatika, war ein ungeheurer Enthusiasmus: endlich schien es gelungen,
Tumorzellen mit potenten Zellgiften eine effektive Therapie entgegenzusetzen.
Die Anfangserfolge waren auch tatsächlich ermutigend, ließen sich bei vielen
Krebsarten doch fast daneben stehend beobachten, wie Tumoren unter der Anwendung
verschiedener Zytostatika regredierten. Dieser Enthusiasmus wurde durch tatsächliche
und anhaltende Ausheilungen v.a. bei den kindlichen Tumorerkrankungen forciert.
Die Zytostatikaära breitete sich schlagartig weltweit aus, frühe Kritiker und
Warner wurden verlacht und verleumdet, einige mit Prozessen überzogen und
gebrochen (Beispiel Issels).
In
den Vereinigten Staaten von Nordamerika mündete dieser Enthusiasmus gar in
einer Kriegserklärung gegen den Krebs (War-Against-Cancer-Kampagne)
mit dem Versprechen, die Krebskrankheit zum Jahrtausendende ausgerottet zu
haben. Kleinlaut mußte der derzeit amtierende Präsident der USA dieses
Versprechen seines Vorgängers vor nicht allzu langer Zeit zurücknehmen.
Der
Übergang der Anwendung von Einzelsubstanzen (Mono-Chemotherapie) zu
Kombinations-Chemotherapien war ein erstes Zeichen beginnenden Versagens:
Therapieinduzierte schwere Nebenwirkungen, therapiebedingte Todesfälle und
Zweittumoren, therapieresistente Tumorzellen, ähnlich der Problematik aus der
Antiobiotikatherapie, und nicht zuletzt eine sich immer mehr verschärfende
Diskrepanz zwischen (auch finanziellem) Aufwand und therapeutischem Erfolg,
nicht zuletzt sicher auch die enorm angestiegenen Kosten für die Behandlung von
Nebenwirkungen und Spätschäden, ließen den Enthusiasmus mehr und mehr in sich
zusammenbrechen. Kritische Publikationen wie z.B. die von Abel1, die
einerseits die Effektivität der Zytostatika für die meisten Fälle von
Tumorerkrankungen in Frage stellten, die aber gleichzeitig das wissenschaftliche
Niveau der Pro-Zytostatika-Studien grundlegend kritisierten, häuften
sich.
Die
Zytostatikatherapie dürfte heute aus meiner Sicht ihren Höhepunkt überschritten
haben. Daran ändern auch verschiedene, und wie gewohnt von der Industrie als
Innovation angepriesene Neuentwicklungen, wie z.B. die Zytostatika der Taxan-Gruppe,
wie auch der Versuch zur Einführung heroischer Methoden der
Zytostatikatherapie, wie der Hochdosistherapie, nichts. Die Chemotherapie
hat sich in einigen wenigen Tumorentitäten ihren fraglos bedeutsamen Platz erkämpft
und sich dort behauptet. Allen voran stellen die kindlichen Tumor- und
Systemerkrankungen die (berechtigte) Prämisse der Poly-Chemotherapie dar,
gefolgt von einigen eher seltenen bösartigen Systemerkrankungen des Erwachsenen
(Akut-Myeloische Leukämie, Plasmozytom, Non-Hodgkin-Lymphom, SCLC).
In
der Mehrzahl der Fälle, v.a. im Bereich der verbreiteten soliden epithelialen
Tumoren, hat die Chemotherapie eine Rolle zur Krisenintervention bei vital
bedrohlichen Situationen. Sie kann als Interventionstherapie Zeit gewinnen,
wobei dies in vielen Fällen auf Kosten der Lebensqualität geschieht, und somit
als ethisch fragwürdig bezeichnet werden muß.
Für
diese fatale Situation, in der sich ein gigantischer Forschungsapparat als
versagend zu erkennen geben muß, gibt es aus meiner Sicht mehrere Erklärungsmodelle.
Die
aus der enthusiastischen und unkritischen Anwendung der Antibiotika bekannten
Resistenzbildungen von Antigenstrukturen gegen eingesetzte Arzneimittel
wiederholten sich in der Onkologie. Ansätze zum Durchbrechen dieser Multi-Drug-Resistenzen,
wie z.B. die Einführung von Antibiogrammen (Prüfung der Sensibilität oder
Resistenz von Tumorzellen gegenüber Zytostatika) hatte in der Krebstherapie nur
eine kurze Phase, die angesichts einer vermeintlich überdeutlichen
Ansprechensquote von Tumoren auf den Zytostatikaeinsatz als unnötig betrachtet
wurde, und damit in das Lager kritischer Anwender Unkonventioneller
Medizinischer Methoden verdrängt wurde. Fatal erwies sich hier eine über lange
Zeit bestehende Gleichsetzung von Response (=Ansprechen der Tumore auf eine
Therapie im Sinne einer teilweisen Rückbildung) mit Remission (=komplette Rückbildung
von Tumoren) oder gar mit Heilung. Stets waren es minimale, in den bildgebenden
Verfahren nicht darstellbare Residualtumorzell-Nester, die nach Absetzen der
Chemotherapie zum Gegenschlag ausholten. Die vermeintlich geheilten
Patienten kamen drei, sechs oder zwölf Monate später mit Rezidiven oder
Metastasen in die nächste Runde Chemotherapie, die naturgemäß aggressiver als
ihre Vorläufertherapie durchgeführt werden mußte. Die Patienten wurden (und
werden) auf diese Weise in einem immer tieferen circulus vitiosus von
Immunsuppression, kataboler Stoffwechsellage und toxischer Belastung getrieben,
bis sie dann als austherapiert gelten.
Diese
Problematik besteht heute wie eh und je, und wer sich schwerpunktmäßig mit
Tumorpatienten beschäftigt, kennt dieses Spannungsfeld nur zu gut.
In
diesem Rahmen muß aber auch über die Erfolge gesprochen werden, die die
Zytostatikatherapie den Betroffenen gebracht hat, selbst wenn die Diskrepanz
zwischen Forschungsaufwand und Enthusiasmus auf der einen Seite, und tatsächlicher
Heilungsquote sowie die Nebenwirkungen durch die moderne Chemotherapie auf der
anderen Seite erheblich sind. Nicht nur für die kindlichen Krebserkrankungen, für
die heute mit modernen Kombinations-Chemotherapien anhaltende Ausheilungen
realistisch sind, haben sich Verbesserungen ergeben. Das Ovarialkarzinom, das
kleinzellige Lungenkarzinom, das Plasmozytom, das Non-Hodgkin-Lymphom stellen
Tumorentitäten dar, bei denen der Einsatz der Poly-Chemotherapie zu vollständigen
Rückbildungen führen kann. Darüber hinaus kann hier, wie bei weiteren
Tumorarten, durch den Einsatz der Chemotherapie eine Operabilität zunächst
inoperabler Tumoren erreicht werden. Auch in der Kombination mit modernen
Strahlentechniken, Hormon- und Gentherapien kann die Chemotherapie die Zeiten
symptomfreien oder rezidivfreien Überlebens z.T. dramatisch verbessern. Nicht
zu vergessen ist auch die Möglichkeit, durch die Applikation von Zytostatika
eine Verbesserung von Schmerzen bei disseminierten Tumorerkrankungen zu
erzielen. Die Bedeutung solcher Aussichten, die vor rund 60 Jahren undenkbar
gewesen sind, können letztlich wohl nur unsere krebskranken Patienten tatsächlich
ermessen. Ein beschwerdefreies oder zumindest beschwerdearmes Leben mit Krebs
ist heute eine Möglichkeit, zu der u.a. fraglos auch die Chemotherapie beiträgt.
Eine Heilung der Krebskrankheiten durch die Chemotherapie ist für die meisten
Tumorarten nach wie vor unrealistisch.
Verschreckt
vom technokratischen Zynismus, der Kälte und Destruktivität der
Apparatemedizin wenden sich zunehmend mehr Krebspatienten früher oder später
den sanften Alternativen zu. Angeregt durch sachlich falsche und irreführende
Pressemeldungen, v.a. aus dem Bereich der Boulevardpresse, erhoffen sich die
Betroffenen nebenwirkungsarme und dabei effektive Therapieoptionen aus
Naturheilkunde und Erfahrungsmedizin. Noch immer ist der Begriff der
Naturheilkunde eng verknüpft mit dem Berufsstand der Heilpraktiker. Steigende
Zuzahlungen und Leistungseinschränkungen in der Behandlung durch die
konventionelle Medizin haben bislang das Terrain der Naturheilkunde-Ärzte nur
quantitativ anwachsen lassen. Auch haben die Patienten zwischenzeitlich
registriert, daß es die Naturheilkunde auf Kassenrezept in der erhofften
Form bei den Naturheilkunde-Ärzten nicht gibt. Die Patienten trauen (noch) den
Heilpraktikern mehr Erfahrung in diesem Bereich zu, zudem ist die zeitlich
prolongierte Zuwendung und hohe Individualität ein stichhaltiges Argument für
viele Patienten, sich lieber dem Heilpraktiker zuzuwenden.
Im
Bereich der Krebstherapie haben wir es in der Regel jedoch mit Patienten zu tun,
die durch lange Arztkarrieren, und durch eine sehr selbstbewußte und
kritische Selbsthilfebewegung einen guten Informationsstand zu ihrem
Krankheitskomplex aufweisen. Dies mündet in spürbar kritischen Fragen nach
Erfahrung, Ausbildungsweg und Qualifikation des jeweiligen Therapeuten.
Doch
was erwartet den Krebskranken tatsächlich in unserem Berufsstand? Zum einen muß
aus Erfahrung konstatiert werden,
daß die Angst vor Krebs auch unserem Berufsstand tief in den Knochen sitzt. Ein
hoher Respekt gegenüber einer sich seit Jahrzehnten als inkurabel erweisenden
Krankheit bewirkt in vielen Fällen ein Abweisen von Krebskranken in unseren
Praxen. Viele Kolleginnen und Kollegen fühlen sich in diesem Themenrahmen überfordert,
obgleich gerade die schweren chronischen Krankheiten eine traditionelle Domäne
des Heilpraktikers darstellen. Krebs scheint hier eine Ausnahme zu sein,
obgleich hier eine qualifizierte und sensible Annahme dieser Herausforderung
durch unseren Berufsstand angebracht wäre.
Andererseits
muß festgestellt werden, daß Krebspatienten in unserem Berufsstand in einem
hohen Maße Verfahren zur Diagnostik, Prävention und Behandlung von Krebs
angeboten werden, die jeden Boden auch nur andeutungsweiser Rationalität,
Vernunft und Ethik vermissen lassen. In (dokumentierten) Einzelfällen muß
sogar von krassen Fehldiagnosen, Falschbehandlungen und unterlassenen
Hilfeleistungen gesprochen werden, die z.T. den Charakter von Körperverletzungen
zeigen. Grund sind fast ausnahmslos entweder missionarisch-religiöse
Grundauffassungen zur Entstehung des Krebses, die isolationistischen und
pseudowissenschaftlichen Charakter aufweisen (Beispiele: Blutkristall-Analyse
nach Dreyer, Therapie nach Hulda Clark, Cell-Com-System nach Nielsen, radikale
Krebsdiäten, Konfliktolyse nach Hamer), oder aber die durch Selbstüberschätzung
verursachte Vernachlässigung z.T. lebenserhaltender klinisch-onkologischer Maßnahmen
(z.B. Empfehlungen gegen operative Eingriffe oder klinisch-onkologische
Therapieoptionen).
Für
manche Kolleginnen und Kollegen reicht die Einnahme einer ablehnenden Position
gegenüber der Wissenschaftsmedizin bereits aus, um der Proklamation einer
neuen universellen Heilungsmöglichkeit für Krebs zu folgen. Dabei ist es
interessant zu beobachten, daß die neuen Wunderheilungen aller meist
lediglich alte Irrwege in neuen Gewändern sind, und daß diese sich stets auf
ähnlichen hypothetischen Annahmen bewegen.
Im
Wesentlichen basieren diese Wundermethoden immer wieder in gleicher oder ähnlicher
Weise auf sechs verschiedenen Denkmodellen:
·
Krebsfrüherkennung
auf der Basis von in der Regel nicht belegten Analysen aus Blut, Harn, Speichel,
Haaren, Nägeln oder anhand sogenannter Referenzzonen (Ohr, Iris, Fußsohlen etc
pp)
·
Krebsbehandlungen
auf der Basis von Erreger-Theorien (Fasciolopsis buscii nach Clark,
Siphonospora polymorpha und dessen pathologische Weiterentwicklungen nach
Enderlein, T-Bazillen nach Reich, Mycoplasmen nach Gerlach, Myzele nach Heafeli,
Protozoen nach Wegner, etc pp)
·
Krebsbehandlungen
auf der Basis angenommener bioelektrischer Störungen (Bioresonanz, Mora,
Behandlung mit pulsierenden elektromagnetischen Feldern, Geopathie etc pp)
·
Krebsbehandlung
auf der Basis exotischer Drogen aus entfernten Kulturen,
·
Krebsätiologie
und -behandlung auf der Basis postulierter psychischer Krisen und
Einbrucherlebnissen (Neue Medizin nach Hamer),
·
Annahme
einer universell geltenden biochemischen Störung tumoraler Stoffwechselprozesse
im Sinne der Warburg´schen Gärungstheorie (Methoden nach Warburg, von Ardenne,
Seeger, Kuhl)
Das
letztgenannte hypothetische Dogma ist zudem Ausgangspunkt verschiedener, in
ihrer Basis und ihrer Auswirkung unhaltbarer Krebsdiäten, die
problematischerweise häufig den Betroffenen über Entzug von essentiellen
Vitalstoffen (Protein-, Kalorien-, Vitamin-, Mineralstoff- und Spurenelemente-
und Aminosäure-Defizite) in den circulus vitiosus der Tumorkachexie
hineintreiben.
Allen
diesen Wundermethoden ist weiterhin die krasse Ablehnung
naturwissenschaftlicher Basiserkenntnisse gemein, oder aber es wird auf einer
Art para- oder pseudowissenschaftlicher Argumentationsschiene versucht, sich
einen kritisch-wissenschaftlichen Anstrich zu geben (in den meisten Fällen
jedoch auf sehr niedrigem Niveau):
die
Entwicklung und Erkenntnistheorie der Naturwissenschaft und deren
Grundlagenforschung wird generell in Frage gestellt oder negiert. In den meisten
Fällen ist festzustellen, daß neue Erkenntnisgewinne aus der
Grundlagenforschung etwa seit den 50er Jahren nicht mehr in die eigene
Hypothetik übernommen wurden. Es werden überaltete Fragestellungen aus der
Krebsforschung als Argumentation dafür eingesetzt, daß die orthodoxe Medizin
einem grundlegenden Irrtum unterliegt. So negiert beispielsweise Hamer die
Existenz zirkulierender Tumorzellen, stellt die Behauptung in den Raum, daß der
Prozess der Metastasierung eine nicht belegte Hypothese der Schulmedizin
sei, und ignoriert dabei hartnäckig Erkenntnisse aus der modernen
Grundlagenforschung aus Molekulargenetik, Tumorbiologie und Fakten aus
Zellbiologie und Zellkinetik.
Zudem
lässt sich bei allen genannten Verfahren eine gewisse Universalität und
Ausschliesslichkeit der Hypothese feststellen: nur so und nicht anders
entsteht Krebs, und nur so und nicht anders ist eine Heilung möglich.
Selbstkritik erscheint hier in der Regel als ein Fremdwort, und Kritik von Außen
wird als Anmaßung oder Dummheit gemaßregelt, oder aber mit
euphorisch-missionarischem Eifer erstickt.
Ein
aktuelles Beispiel aus meiner Praxis mag das vorher Gesagte verdeutlichen:
eine
etwa 60jährige Frau aus einer süddeutschen Kleinstadt sucht wegen Adynamie und
Leistungsknick eine Kollegin auf. In den Anamnese berichtet sie von einer familiär-genetischen
Krebsprädisposition und ihrer Angst, eine ernste Erkrankung zu haben.
Neben der Anamneseerhebung führt die Kollegin (als einzige Diagnostik) einen
elektromagnetischen Bluttest (nach Aschoff) durch, der die Diagnose Lymphatismus
ergibt. Die Patientin wird beruhigt und über 1,5 Jahre mit Komplexmittel-Homöopathika
behandelt. Nachdem es der Patientin nicht besser geht, sie zudem
Oberbauchbeschwerden, Stuhlunregelmäßigkeiten und atemabhängige thorakale
Beschwerden aufweist, wird der Aschoff-Test wiederholt. Wieder wird der
Patientin gesagt, es sei nichts Ernstes, der Test ergebe lediglich Lymphatismus.
Wenn sie wolle, könne sie einen Arzt aufsuchen, sie solle sich aber nichts
einreden lassen, vor allem hätte sie definitiv keinen Krebs ( schriftlich
fixierte Aussage der Patientin!).
Beunruhigt
von den anhaltenden Beschwerden sucht die Patientin einen Arzt auf und dieser
weist sie zur Diagnostik in die Klinik ein; der Grund: ein knapp tomatengroßer,
derber Tumor in der Brust, axilläre Lymphknotenschwellungen und eine
Hepatomegalie. In der Klinik wird dann wie folgt gesichert: inoperables
Mammakarzinom mit Metastasen in Leber und Knochen.
Hier
muß aus meiner Sicht von einer krassen Fehldiagnose und von zumindest
unterlassener Hilfeleistung gesprochen werden, zumal die Patientin in der Praxis
der Kollegin nicht ein einziges Mal einer körperlichen Untersuchung unterzogen
wurde, keinerlei klinische Basisdiagnostik (klinisches Labor) durchgeführt und
kein Rat zur parallelen Konsultation eines Facharztes erfolgt ist. Die einzige
diagnostische Vorgehensweise auf der Basis eines (im übrigen von der Mutter der
Kollegin durchgeführten!) Testverfahrens ohne medizinische Relevanz erscheint
mir als grobe Vernachlässigung jeder eminenten Basisdiagnostik.
Die
Patientin hat darauf verzichtet, eine Strafanzeige zu stellen oder die Kollegin
zivilrechtlich zu belangen; derzeit kämpft die Frau in einer kombinierten
Therapie aus Immun-/Chemotherapie und Hyperthermie um ihr Leben und sieht sich
außerstande, einen langwierigen sowie zeit- und kraftraubenden Prozeß zu führen.
Eine Kontrollinstanz innerhalb unseres Berufsstandes fehlt hier, der von mir
diesbezüglich angeschriebene Berufsverband hat sich zu dem Vorgang bis heute
nicht geäußert.
Dieser
Vorgang ist problematischerweise kein Einzelfall, nicht auf eine Praxis, auf
einen Berufsverband, ja nicht einmal auf unseren Berufsstand beschränkt. Der
Fall Hamer ist ein eindringliches Beispiel für ein solches Problemfeld auch
innerhalb der Ärzteschaft. Auch im Bereich der Naturheilkunde und
Erfahrungsmedizin scheint der Krebskranke ein (geduldiger, weil hoffender)
Spielball für diverse bewußte oder unbewußte Experimente. Grund hierfür könnte
die stigmatische Verknüpfung des Begriffes Krebs mit Vorstellungen von Leid,
Schmerz, Siechtum und Tod sein.
Beispiele
irrationalen Denkens und Handelns finden sich im Themenrahmen Krebs (glücklicherweise...)
nicht nur im Berufsstand der Heilpraktiker. Jüngstes Beispiel ist die Veröffentlichung
eines Beitrages zur Behandlung von Knochentumoren in der Zeitschrift Co´Med2,
in der ein ausgebildeter Arzt eine Abhandlung über Ursachen und Behandlung von
Knochensarkomen sinniert. Hierbei werden nahezu alle seit Jahrzehnten
erarbeiteten Basiskenntnisse von Tumorentstehung und -ausbreitung ignoriert, und
zugunsten eines persönlichen Weltbildes aufgegeben. Die Kenntnisse um den Prozeß
der Metastasierung, der das zentrale Problem der Krebskrankheit darstellt, wird
schlicht und einfach als nicht existent dargestellt. Dabei werden tausende
experimenteller Grundlagenarbeiten, die diesen Prozeß belegen, ignoriert. Da
wird mit simplen Lügen und dummen Taschenspielertricks gearbeitet, in dem
einfach behauptet wird, Chirurgen hätten die Erfahrung gemacht, daß offene
Frakturen bessere Heilungsquoten erreichen würden, als geschlossene Frakturen
(jeden, der wie ich lange Jahre im Bereich der Unfallchirurgie tätig war,
bringt diese Aussage zu einem herzhaften Lachen!). Da wird die Ursache der
Krebskrankheit als psychisches Problem dargestellt, was ja keinesfalls eine neue
Erkenntnis darstellt, in seinem Absolutheitsanspruch allerdings den Autor ad
absurdum führt. Und da wird letztlich der tumorbedingte Schmerz als
Heilreaktion bezeichnet, mit der Konsequenz, daß Patienten auf
Schmerzmitteleinnahmen verzichten sollten. Dies torpediert jahrelange Bemühungen
der seriösen Schmerzforschung, und schickt die Betroffenen in eine Sackgasse
unglaublichen Leidens und unerträglicher Qualen. Was immer Herrn Hamer bewogen
haben sollte, sich in ein solches unseriöses Abseits von Ethik und
Verantwortlichkeit zu stellen, sollten wir als selbstbewußte und
verantwortliche Berufsgruppe ihm die Tür zuschlagen, die er gerade zu öffnen
versucht.
Es
scheint eine Phänotypie (nicht nur in der Medizin) zu sein, daß
Forschungsergebnisse aus den Vereinigten Staaten nahezu kritiklos in Deutschland
übernommen werden. Hypothesen, Postulate und Verlautbarungen aus dem Land
der unbegrenzten Möglichkeiten" haben in Deutschland häufig ein leichtes
Spiel, als seriös anerkannt zu werden, auch wenn die Inhalte offensichtlich bar
jeder rationalen Vernunft sind. Ein Beispiel für dieses Phänomen ist das
Postulat von der Heilung aller Krebsarten durch die US-Amerikanerin Hulda
Clark. Hier wird (auf der Schiene der Infektionshypothese des Krebses,
siehe weiter oben) der Darmegel Fasciolopsis buscii als Verursacher sämtlicher
Krebsarten bezeichnet. Die Behandlung (aller Krebsarten!) erscheint sehr simpel:
wir locken den Egel mit Stromstößen (einem Gerät namens Zapper) aus dem
Versteck in den Darmzotten, und eliminieren ihn dann durch perorale Gabe einer
spezifischen Kräutermischung. Die zuverlässige Heilung aller Krebsarten sei
dann die Folge (Einsatz des Originalgerätes und Einhaltung der Kräuterrezeptur
vorausgesetzt).
Das
Problem bei dieser Prozedur ist allerdings eine offenbare Unkenntnis von Frau
Clark und ihrer Anhängerschaft zur Epidemiologie dieses Egels, der ausschließlich
in Asien und Nordamerika beheimatet ist. In Europa und den anderen Teilen der
Welt tritt dieses Egel epidemiologisch gar nicht auf!
Der
Arbeitskreis AKODH hat im letzten Jahr ein solches Gerät zum Hervorlocken des
Egels physikalisch überprüft, und das Ergebnis war erschreckend: abgesehen von
faszinierend blinkenden bunten Glühlämpchen war (insbesondere an den für den
Patienten gedachten Handelektroden) keinerlei physikalisches Output zu messen.
Die in das Gerät integrierten Batterien versorgen also lediglich die Glühlämpchen,
ansonsten ist das mehrere Hundert Mark teure Gerät ein physikalisches Plazebor!
Es
steht zu vermuten, daß sich der als universeller Krebserreger bezeichnete Egel
Fasciolopsis buscii am meisten vor der Bedeutung erschrickt, die ihm von
Frau Clark zugeschrieben wird, und weniger vor den Therapiewegen, die zu
seiner Elimination empfohlen werden. Daß sich über diese Behandlungsmethode
auch nur eine einzige Tumorzelle auch nur erschrickt, dürfte sehr zweifelhaft
sein3.
Einfluß
zu nehmen auf den Sektor der onkologischen Forschung, Lehre und Klinik, ist uns
nicht möglich. Was wir allerdings vermögen (und dies ist aus meiner Sicht als
ein Zeichen der Zeit zu verstehen), ist ein kritisches Reflektieren unseres
traditionellen Denkens und Handelns angesichts der Herausforderungen durch die
noch immer im wesentlichen unheilbare Krankheit Krebs. Wir betreiben Medizin,
und Medizin basiert wesentlich auf Wissenschaften von der Natur (Biophysik,
Biochemie, Immunologie, Molekularbiologie, Immunologie, etc pp). Aus diesem
Grunde sind wir als Heilpraktiker ethisch und rechtlich dazu verpflichtet,
unsere Handlungen an naturwissenschaftlichen Basiskonzepten auszurichten, und
diese als (eine) Basis unseres Handelns zu respektieren. Wir unterstehen in der
Behandlung von kranken Menschen, insbesondere im Themenrahmen von als inkurabel
postulierten Krankheiten, einer hohen Verantwortung gegenüber den Betroffenen,
der Gesellschaft und gegenüber unserem Berufsstand. Hierbei haben wir die
Grundgesetze der Naturwissenschaft als ebenso richtungsweisend zu respektieren,
wie die Grundgesetze der Ethik und der Erfahrungsheilkunde, ohne sie allerdings
jeweils als uns dominierende Dogmen zu übernehmen. Wir sind in der Lage, und
wir sind verpflichtet, Brücken zu schlagen zwischen extremen Standpunkten in
Naturwissenschaft, Medizin und Erfahrungsheilkunde. Dabei dürfen wir unseren
fachlichen Handlungsrahmen nicht von den uns umgebenden politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Problemen abtrennen, sondern müssen hier
integrativ wirken und bewußt handeln. Eine stabile und tragfähige Brücke
zwischen Tradition und Innovation, zwischen Naturheilkunde und
Naturwissenschaft, zwischen Empirie und Beweisführung: eine solche Brücke zu
bauen, könnte im Bereich der Onkologie einen guten Schritt weiterführen auf
dem Weg in eine zukünftige und wegweisende Krebsmedizin. Hierzu bedarf es vier
wichtiger Pfeiler, die wir uns zu eigen machen sollten: Transparenz,
Ehrlichkeit, Bescheidenheit und Selbstkritik.
Naturheilkunde
und Erfahrungsmedizin haben über Jahrzehnte gute Impulse auch für die
Krebstherapie geliefert. Die (zunächst aus rein empirischen Gesichtspunkten
heraus angewandten) Methoden von Misteltherapie, Wärmeanwendung,
Vitamin-A-Gaben oder systemischer Enzymtherapie können heute als belegte
Verfahren mit hoher Akzeptanz auch im schulmedizinischen Bereich bezeichnet
werden. Sie entstammen der empirischen Anwendung (vorwiegend von Heilpraktikern
und naturheilkundlich orientierten Ärzten) und erfuhren erst im Nachhinein
ihren experimentellen Wirksamkeitsbeweis.
In
diesem Kontext bedürfen wir einer verbesserten Transparenz und einer Qualitätssicherung,
die wir nicht von außen bekommen können, sondern durch unsere eigenen persönlichen-Bemühungen
und Leistungen anstreben müssen. Dabei sind unsere Berufsverbände gefordert,
sich alter und scheinbar bewährter Gedanken- und Handlungskorsetts zu
entledigen. Statt sich unwillig gegen vermeintliche Einmischungen in die
traditionell den Verbänden zustehenden Bereiche der Berufspolitik zu wenden,
sollte den fachspezifischen kollegialen Arbeitskreisen (schon aufgrund ihrer höheren
Fachkompetenz) deutlich größeres Gehör und Gewicht geschenkt werden. Der ärztliche
Berufsstand macht uns dies seit Jahren vor: Positionspapiere und
Konsensusempfehlungen der Fachgesellschaften werden in der Regel problemlos von
den berufspolitischen Gremien akzeptiert und übernommen. Die Einrichtung von
interdisziplinären Fachgremien, wie fachlichen Konsensuskonferenzen und
berufseigenen Ethikkommissionen, sind überfällig, ebenso wie berufsgruppen-
und standesübergreifende Gremien zum Erfahrungs- und Wissenstransfer in
besonders problematischen Themenbereichen. Beispielhaft bietet der Arbeitskreis
Komplementäre Onkologie Deutscher Heilpraktiker e.V. (AKODH) seit Kurzem seinen
Mitgliedern, neben differenzierten theroretischen Fortbildungen, die Hospitation
in einer fachärztlichen onkologischen Klinik. Damit werden Tendenzen zur berufsübergreifenden
Kooperation mit ärztlichen Kollegen umgesetzt, die gerade in problematischen
Themenbereichen wie der Krebstherapie eigentlich unverzichtbar sind.
Die
Forderung der Gesundheitsministerkonferenzen nach einer Verbesserung von
Transparenz und Qualität heilpraktischen Tuns, insbesondere bei scheren
chronischen erkrankungen, steht im Raum. Diesbezügliche Diskussionen können in
unseren Verbandsorganen und Fachzeitschriften seit einiger Zeit verfolgt werden,
und hierzu nahm auch Kollege Zizmann in der Juni-Ausgabe von
VOLKSHEILKUNDE&DER HEILPRAKTIKER (S.40 ff) Stellung. Kritisch anzumerken wäre
hier allerdings, daß das hier ausgeführte Zitat aus dem Bericht
Unkonventionelle medizinische Methoden(=UMM) des Senator für Frauen,
Gesundheit, Jugend, Soziales und Umweltschutz der Stadt Bremen nur teilweise den
Tenor wiedergibt, der aus dem gesamten Bericht herauszulesen ist. Zwar ist die
von Kollegen Zizmann ausgeführte Zitat korrekt wiedergegeben, es stammt aus der
zusammenfassenden einstimmigen Entschließung
der 70. Konferenz der für das Gesundheitswesen zuständigen Ministerinnen und
Minister, Senatorinnen und Senatoren der Länder am 20. Und 21. November 1997 in
Saarbrücken (Punkt 5., Seite 34). Jedoch gehört m.E. auch ein weiteres
Zitat aus diesem Bericht zur Kenntnis der Kollegenschaft, welches unmißverständlich
lautet:
Die
Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Medizin werden von den UMM bisher
nicht erfüllt. Neben haftungsrechtlichen Fragen hat dies sicherlich eine
Bedeutung für den Patientenschutz.
Es
bleibt zu entscheiden, ob die UMM sich innerhalb einer festzulegenden Frist den
gleichen Kriterien wie die Schulmedizin in bezug auf die Anforderungen an Qualitätssicherung
und Qualitätsmanagement unterwerfen oder diese explizit von den Anforderungen
des Qualitätsmanagements ausgenommen werden.
In
diesem Fall ist dann zu hinterfragen, mit welchen Mitteln dann der
Patientenschutz gewährleistet werden kann. Unzweifelhaft bleibt, daß die
UMM sich einem höheren Maß an Transparenz und qualitätsorientierter
Rechtfertigung stellen müssen, besonders wenn sie bei der Behandlung
schwerwiegender Erkrankungen eingesetzt werden.(o.g. Bericht, Seite 21,
Hervorhebung durch den Autoren).
Nur
sechs Seiten weiter werden auf dieser Grundlage von den Beamten denkbare
Szenarien zur Änderung der Rechtsgrundlagen durchgespielt, die da wären:
·
Wiedereinführung
des ärztlichen Kuriermonopols
·
Ausübung
der Heilkunde durch Arzt und Heilpraktiker (wie bisher)
·
Einführung
eines Arztvorbehaltes oder
·
Wiedereinführung
der Kurierfreiheit (o.g. Bericht, Seiten 27-28).
Niemand
kommt hier (auch und gerade angesichts des zusammenwachsenden Europa) darum
herum, sich diesbezüglich Gedanken zu machen, zu äußern und Veränderungen zu
beginnen. Dabei geht es nicht um leidige und unwirksame Positiv-Negativ-Listen,
die sich in der Ärzteschaft gerade nach ihrer Einführung bereits auf den Müllhaufen
der Geschichte zubewegen.
Es
geht primär um unsere Handlungsmoral:
·
Was
tue ich und warum?
·
Welche
Grundlagen meines Denkens und Handelns bewegen mich, und wie sind diese
Grundlagen auf der Basis des heutigen allgemeinen Wissens- und Kenntnisstandes
legitimiert?
·
Kann
ich meine Handlungen begründen und meinen Patienten und ggf. auch einem
Naturwissenschaftler gegenüber verständlich ausführen?
·
Würde
ich meine Kinder, meinen Ehepartner und mich selbst so behandeln wie ich meine
Patienten behandle?
·
Wo
könnte ich irren?
·
Wo
mangelt es mir an Kenntnissen und Begründungen für mein Tun und wo kann ich
lernen?
Die
Beantwortung dieser Fragen und die daraus resultierenden Veränderungen in
meinem Handeln erscheinen mir mehr Qualitätssicherung und Transparenz als
kollegiale und/oder berufsübergreifende Prüfungsgremien zu erreichen in der
Lage wären. Sie könnten (nach meinem Dafürhalten) erste Schritte zu einer
Professionalisierung unseres Berufsstandes in diesem so schwierigen und
sensiblen Themenkomplex darstellen.
Daß
wir uns hier bewegen müssen, steht außer Frage. Daß diese Bewegung nur eine
gemeinsame sein kann, sofern sie effektiv sein will, liegt in der Natur der
Sache. Daß diese Gemeinsamkeit auf den Schultern jedes Einzelnen ruht, sollte
allen klar sein.
Wir
können uns angesichts der vor uns liegenden Herausforderungen heute nicht mehr
auf unseren traditionellen Lorbeeren ausruhen, die Zeit ist eindeutig vorbei.
Die bequeme (und falsche!) alte Weisheit unseres Berufsstandes vom wer
heilt, hat recht... oder die lapidare Einschätzung der Therapeut ist der
Impuls, die Natur wird´s dann schon heilen... ist Spiegel eines alten und überholten
Dogmas, welches uns in beschaulicher Selbstherrlichkeit lange hat überleben
lassen. Heute sind wir gefordert, uns in die Kommunikation mit einer sich öffnenden
und nach Diskussionspartnern suchenden kybernetischen Welt- und Menschensicht
(Naturwissenschaft) einzulassen. Der Mensch ist ein beständig lernendes Wesen,
warum sollte der Berufsstand der Heilpraktiker hiervon unberührt bleiben?
Wir
müssen mit Traditionen brechen, sie zumindest grundlegend in Frage stellen.
Dies bezieht sich nicht nur auf unsere Grundansichten zu Krankheit und
Gesundheit, es betrifft auch unser berufspolitisches Miteinander. Graben- und Flügelkämpfe
um Mitgliederzahlen, Macht, Einfluß und persönlichen Erfolg sind Parameter
eines kranken Systems, auch innerhalb einer Berufsgruppe. Wir benötigen
Geradlinigkeit, Klarheit, Ehrlichkeit und Intelligenz, die dann auch den Erfolg
und den Einfluß (in der Folge!) mit sich bringen und gerechter Lohn sein können.
Besinnen wir uns darauf, was uns zur Handlung motiviert und legitimiert: das
Leid kranker Menschen und deren legitimer Anspruch auf eine transparente und
hochqualifizierte ethische Ganzheitsmedizin.
Die
komplexe Problematik der Krebskrankheit sucht nach Lösungsmodellen. Diese
werden sicher nicht allein aus Grundlagenforschungen resultieren, die sich in
Detailfragen menschlichen Lebens verlieren. Sie werden auch nicht aus
trotzig-isolationistischem wer-heilt-hat-recht-Denken kommen. Unsere
Patienten (und das könnten mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit auch
irgendwann wir selbst sein!) haben ein Recht darauf, daß wir uns um ein Überwinden
von Kommunikationsbarrieren bemühen. In diesem Rahmen sind wir als
Heilpraktiker aufgefordert, uns von Diagnose- und Behandlungsverfahren zu
trennen, die als Grauzonenverfahren eher dem Bereich der Geistheiler,
Handaufleger und Spiritisten zuzuordnen sind. Die Zukunft einer effektiven
Onkologie bedarf der Impulse aus schulmedizinischer Forschung und
ganzheitsmedizinischer Erfahrung in einem undogmatischen System offenen
Meinungs- und Wissensaustausches. Dabei ist einem (auch in unserem Berufsstand)
definierten Patientenschutz hoher Vorrang einzuräumen.
Quellenhinweise:
1.
Abel U.
Die zytostatische Chemotherapie fortgeschrittener epithelialer Tumoren, eine
kritische Bestandsaufnahme. Hippokrates, Stuttgart 1990
2.
Hamer GR.
Knochensarkome. Co´Med 5/00: 22-23, Co´Med-Verlagsgesellschaft Mai 2000
3.
Nähere
Informationen zu dubiosen Verfahren in der Krebsmedizin in der Rubrik Wunder
über Wunder... auf der Homepage des Arbeitskreis AKODH: www.akodh.de.
Anschrift
des Verfassers:
Manfred
D.Kuno
Vorsitzender
des Arbeitskreis Komplementäre Onkologie Deutscher Heilpraktiker e.V. (AKODH),
Peter-Strasser-Weg 35
12101 Berlin
Tel. 785 71 51
Fax. 785 82 12
e-mail:
info@akodh.de